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Stress – ein selbstzerstörerisches Gefängnis

Die neuropsychologische Forschung der letzten Jahre zeigt deutlich auf, dass Stress für viele Menschen zur Gewohnheit geworden ist. Sie wird emotional als grosse Last erlebt und führt häufig zu ernstzunehmenden Krankheitszuständen. Durch das Verständnis und die Umwandlung dieser Vorgänge lässt sich ein freierer und angenehmerer Zustand erreichen.

Schicksal

Dieses irrtümlich dem Talmud zugeschriebene Zitat bringt einfach verständlich zum Ausdruck, wie sich unsere Sichtweise der Realität auf die Ausprägung unseres Lebens auswirkt. In verschiedenen alten Weisheitslehren sind ähnliche Zusammenhänge beschrieben. Die neuropsychologische Forschung der letzten Jahre belegt inzwischen, dass sie zutreffen.

Definition von Stress

Stress kann als eine Anspannung unterschiedlicher Stärke bezeichnet werden, welche ausgelöst wird durch eine Dissonanz zwischen innerer Befindlichkeit gegenüber der äusseren Wirklichkeit:
Auf der emotionalen Ebene werden dabei häufig Gefühle von Unsicherheit, Sorge, Angst, Überforderung und Aversion erlebt.
Auf körperlicher Ebene können erhöhte Pegel von Stresshormonen, eine Veränderung der Neurotransmitterabgabe, ein erhöhter Grundtonus der Muskulatur, eine erhöhte Herzfrequenz wie auch ein erhöhter Blutdruck gemessen werden. Das vegetative Nervensystem wird in einen Zustand übermässiger Aktivierung versetzt. Bildhaft gesprochen sind wir in einer dauernden Erwartung einer Gefahr, welche hinter der nächsten Ecke lauert. Über Dauer können bislang korrekt geschaltete Gene anders an- beziehungsweise abgeschaltet werden, was zur veränderten Produktion von Eiweissen führt, welche wiederum die Körpervorgänge so verändern, dass krankhafte Prozesse ausgelöste werden können.
Auf der mentalen Ebene kann Stress als Unachtsamkeit, Hastigkeit, eingeschränkte Gedankenmuster, stark eingeschränkte Kreativität oder Vergesslichkeit beobachtet werden. Denkblockaden, dysfunktionale Denkvorgänge oder eine grössere Fehlerdichte sind die Folge davon.
Es versteht sich von selbst, dass die drei Seinsbereiche interdependent miteinander verwoben sind und sich deshalb gegenseitig beeinflussen.

Von der Erfahrung zur Handlung

Um zu verstehen, wie es zu Stress kommt, ist es nötig den Ablauf der inneren Vorgänge nachvollziehen zu können, welche von einer Erfahrung zu einer Handlung führen: Zu Beginn steht die Wahrnehmung einer inneren oder äusseren Begebenheit. Dabei ist wichtig, zu verstehen, dass wir vieles nur unbewusst wahrnehmen und darum nicht benennen können. Dennoch haben unbewusste Wahrnehmungen dieselben Auswirkungen wie bewusst Wahrgenommenes. Die moderne Hirnforschung geht davon aus, dass der unbewusste Teil bei weitem mehr Informationen verarbeitet als der bewusste: Im Unbewussten werden circa 400 Milliarden Bits pro Sekunde mit einer Geschwindigkeit von bis zu 160'000 km/h verarbeitet, während im Bewussten lediglich 2000 Bits pro Sekunde mit einer Geschwindigkeit von 160-240 km/h verarbeitet werden.
Auf der bewussten Ebene nehmen wir unvollkommen wahr: Wir überhören und übersehen gewisse Anteile der Wirklichkeit oder gehen von inneren Annahmen aus, anstatt wirklich wahrzunehmen. Zahllose Untersuchungen weisen nach, dass unsere Wahrnehmung lückenhaft ist. Was wir benennen können, widerspiegelt also nicht die ganze Realität.
Unsere Psyche bewertet diese Wahrnehmung aufgrund früherer Erfahrungen und unserer Schlüsse daraus. Ebenso wichtig für die Bewertung einer Wahrnehmung ist unsere Weltsicht, welche durch unzählige Werthaltungen repräsentiert ist. Die aktuelle Stimmungslage (körperlich, emotional) beeinflusst diesen Vorgang ebenso.
Aus diesem individuellen Bild über die Realität kommen wir durch deren Beurteilung zu einer für uns sinnvoll erscheinenden Handlung.

Erfahrung_Handlung

Unbewusste Inhalte unserer Psyche bestimmen unser Verhalten

Unser Sein gliedert sich in bewusste und unbewusste Inhalte. Rund 5% sind bewusst, während 95% unbewusst sind. Der Körper kann als unbewusster Anteil unseres Seins betrachtet werden. Dies zeigt sich auch bei genauerer Betrachtung der oben genannten Faktoren, welche unsere Handlungen steuern.
Unsere aktuelle Stimmung wird von unzähligen inneren und äusseren Faktoren bestimmt, welche uns zum grossen Teil nicht bewusst sind. Die physiologischen Vorgänge in unserem Körper sind komplex und in dauernder Veränderung. Die Beurteilung unserer aktuellen Situation fusst auf meist unbewussten Werthaltungen. Unsere Schlüsse aus vergangenen Erfahrungen bestimmen auf magische Weise, wie wir uns heute entscheiden, obwohl ein Teil dieser Schlüsse falsch war. Dass sie unsere heutigen Entscheidungen bestimmen, obwohl sie falsch waren, entzieht sich meist unserer bewussten Wahrnehmung.
Die Entstehung unserer Werthaltungen geht zurück bis in die präverbale Zeit unserer Erfahrungen, als wir noch im Mutterleib waren und danach als Kleinkinder unsere Umwelt erkundet haben. Unser gesamtes Umfeld hat uns während der Kindheit und Jugend vorgelebt, wie das Leben funktioniert, ohne dass wir auch nur ansatzweise fähig waren, all das auf seine Richtigkeit zu überprüfen geschweige denn Fehler zurückzuweisen und durch bessere Alternativen zu ersetzen.
Erinnerungen dienen häufig als Referenzpunkte für unsere Entscheidungen. Schon seit längerem kann die Forschung nachweisen, dass sie häufig völlig frei erfundene Inhalte sind. Man geht heute davon aus, dass lediglich 50% unserer Erinnerungen zutreffen. Dies hat damit zu tun, dass unsere Psyche ein Prozess ist, der durch viele Faktoren leicht beeinflussbar ist. Diese Erkenntnis wird inzwischen bewusst ausgenutzt, Menschen falsche Erinnerungen einzupflanzen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das, was wir als Wirklichkeit bezeichnen, ein Konstrukt ist, also eine von uns zum grossen Teil aus unbewussten Inhalten erfundene Geschichte ist.
Neuere Forschungsresultate legen nahe, dass wir bis zum 35. Lebensjahr rund 95% unserer Handlungsmuster zu unbewussten Gewohnheiten gemacht haben. Das heisst, dass rund 95% des heutigen Tages gleich sind wie die vorangehenden Tage.
Gewohnheiten geben einerseits Sicherheit und sparen Energie. Andererseits aber findet keine Entwicklung mehr statt, weil die immer gleichen Handlungsabläufe abgespult werden.

Die Entstehung von Stress

Aus dem oben Gesagten lässt sich unschwer entnehmen, dass die meist unbewussten Anteile, welche individuell unterschiedlich ausgebildet sind, bestimmen, wann und wie intensiv wir Stress erfahren. Wir reagieren mit den häufig unbewussten Vorstellungen unseres Ego auf die ebenso unbewussten Vorstellungen des Ego anderer.
Wenn eine Gegebenheit in der Vergangenheit als bedrohlich oder unangenehm bewertet wurde, wird dieser Mensch mit Anspannung auf das Wiederauftauchen dieser Gegebenheit reagieren, selbst wenn die Bewertung damals falsch war.
Noch dramatischer wird es, wenn jemand alles als unangenehm oder gefährlich taxiert, was er nicht kennt, versteht oder kontrollieren kann. Dadurch wird das alles als Stress erlebt.
Wir beginnen auf diese Weise damit, die Zukunft auf Grund unserer teilweise falschen Einschätzungen vorherzusagen und führen unser Leben auf Grund häufig inadäquater Annahmen und Urteile.
Im Heranwachsen eignen wir uns die Kontrolle über immer weitere Anteile der Wirklichkeit an. Sinnvolle Kontrolle ist unabdingbar, um im Leben bestehen zu können. Übermässige oder zu schwache Kontrolle gewisser Lebensbereiche findet meist unbewusst statt und trägt zur Entstehung von Stress bei.

Ein unhinterfragtes, sich selbst referenzierendes System wird zum Gefängnis

Wenn dieses Gefühl der Bedrohung sich unkontrolliert ausdehnt, können daraus Neurosen, Angststörungen, Zwangsstörungen, Schlafstörungen, Depressionen oder psychosomatische Beschwerden entstehen. Die neurotischen Gedanken über sich selbst und die Umwelt lösen zusätzlich zu den Herausforderungen des Alltags weiteren Stress aus.
Sobald diese Zustände häufig vorherrschen, wird dies zur Gewohnheit und die Situation dreht sich um: Der Körper, welcher über längere Zeit an den stresshaften Zustand gewöhnt wurde, ist nun abhängig von dem entsprechenden Cocktail an Neurotransmittern und Hormonen. Sie bringen die Person dazu, diese Gedanken und Gefühlslagen immer und immer wieder zu wiederholen. Dadurch gerät das System endgültig aus dem Gleichgewicht.
Gefühle wie "Ich bin ein Opfer", "Ich fühle mich so unsicher", "Die Situation ist ausweglos" oder "Ich hoffe auf baldige Besserung" wurden in der Vergangenheit geprägt. Durch deren häufige Wiederholung haben sie sich zur Gewohnheit oder gar Sucht entwickelt, diese Cluster aus Stimmungen, Gefühlen, Gedanken, und Handlungen immer und immer wieder zu repetieren. Diese wiederum rufen Hormon- und Neurotransmitterausschüttungen hervor, welche diese Gefühle hervorrufen beziehungsweise verstärken - ein Teufelskreis, den wir bei genauer Betrachtung meist nicht in Zusammenhang bringen können mit der aktuellen Realität. Auch wenn sich solche Befindlichkeiten nicht wohl anfühlen, rufen sie einen Eindruck von "Das bin ich" hervor. Wir gewöhnen uns daran, uns unwohl zu fühlen.
Als Gefangene solcher Vorgänge ist es nicht möglich, eine neue Realität zu generieren. Mentale Versuche, diesem Gefängnis zu entrinnen wie zum Beispiel durch gute Vorsätze zum Neujahr scheitern meist kläglich und "beweisen" wie ungenügend und ohnmächtig man ist.
Häufig werden dann Korrektur-Massnahmen ergriffen, die kontraproduktiv sind: Medikamente, Drogen oder neurotische Verhaltensweisen. Dadurch wird der Raum für eine gesunde Distanz und Einschätzung der Situation sowie das Finden von kreativen Lösungen weiter eingeschränkt.

Stress führt zu einschneidenden Veränderungen im Organismus

Das Immunsystem wird geschwächt, weil die hohe Konzentration der Stresshormone auf Dauer toxisch wirkt. Das daraus resultierende häufige Kranksein wirkt verunsichernd und braucht zusätzlich Energie für den Heilungsprozess, was zusätzlichen Stress generiert.
Im Hippocampus - eine Hirnregion in der Form eines Seepferdchens - fliessen Informationen von Erfahrungen aus unserer Wahrnehmung zusammen, die verarbeitet und von dort zur Grosshirnrinde zurückgesandt werden. Der Hippocampus ist enorm wichtig für den Aufbau eines stabilen Gedächtnisses, welches stark verbunden ist mit der emotionalen Deutung unserer Erfahrungen. Der Hippocampus ist damit ein zentraler Bestandteil unseres Gehirns, der das Erlernen neuer Inhalte ermöglicht.
Durch die dauernd hohe Konzentration von Stresshormonen degenerieren dort Zellen, was dazu führt, dass wir an Gedächtnisverlust zu leiden beginnen und nur noch die immer selben Lösungswege wählen - ein Mangel an Kreativität wird beobachtbar.
In der neueren Forschung konnte nachgewiesen werden, dass Ruhe und Entspannung durch Meditation diese Zellen wieder nachwachsen lassen. Die vorher eingeschränkten Wahlmöglichkeiten werden ersetzt durch einen weiteren Horizont unterschiedlicher kreativer Lösungswege.

Sucht als Kompensation von unangenehmen Gefühlen

In unbewussten, immer wieder wiederholten negativen Glaubenssätzen aus der Vergangenheit steckt grosses Leiden. Häufig können Menschen damit keinen Umgang finden und den Weg, der sie aus diesen Gefühlen entlässt, nicht entdecken. Um sich dennoch wohl zu fühlen, legen Sie sich äussere Verhaltensweisen zu, die in ihnen vordergründig angenehme Gefühle auslösen.
Solange das in einem adäquaten Rahmen geschieht, ist es unproblematisch. Wenn aber die Abstände immer kürzer werden und die Intensität gesteigert wird, entwickelt sich im Körper eine Abhängigkeit, die entsprechenden körpereigenen Substanzen immer wieder auszuschütten: Die Rezeptoren gewöhnen sich bald an den Stimulus, sodass die Dosis nicht mehr wirkt und erhöht werden muss. Sucht ist entstanden. Als Sucht können Zustände bezeichnet werden, in denen wir das Gefühl erleben, nicht aufhören zu können damit. Es ist unerheblich, ob es eine Sucht nach gewissen Substanzen, eine Sucht nach gewissen Tätigkeiten oder eine Sucht nach gewissen Vorstellungen ist.
Auslöser für die Sucht nach angenehmen Gefühlen ist eine vorhergehende Sucht nach unangenehmen Gefühlen und die Vorstellung, dass deren Veränderung nur durch äussere Faktoren geschehen kann. Bei diesen unangenehmen, suchtartigen Gefühlen handelt sich um Überlebens-Emotionen wie Ärger, Aggression, Feindseligkeit, Beurteilung, Angst, Leiden, Schuld und Scham.
Sucht kann auch definiert werden als "der Körper ist zum Geist geworden". Anstatt frei zu wählen, giert der Körper nach der Produktion von entsprechenden Hormonen und Neurotransmittern und führt damit unbewusst zu den immer gleichen Gedanken, Gefühlen, Entscheidungen und Handlungen.

Im folgenden Artikel Geistige Klarheit und Meditation als Weg aus dem Gefängnis des Stresses ➚ werden verschiedene Wege aufgezeigt, um aus der gefährlichen Stressspirale auszubrechen.